OLG Stuttgart: Kein verkürzter Versorgungsweg für Brillen

Während das OLG Celle unlängst einen Brillendirektvertrieb über augenärztliche Praxen als zulässig erachtete, hat das OLG Stuttgart die Rechtslage jetzt gänzlich anders beurteilt. Der verkürzte Versorgungsweg von Sehhilfen über Augenärzte sei rechtswidrig, da der Augenarzt dabei gegen die Berufsordnung für Ärzte (BOÄ) verstoße, urteilten die Stuttgarter Richter. Ein Brillenlieferant wollte Augenärzte für den so genannten verkürzten Versorgungsweg von Brillengläsern und -fassungen gewinnen: Die Augenärzte sollten ihren Patienten in der Praxis eine Musterkollektion von Brillengestellen anbieten und die nach der augenärztlichen Verordnung dann fertiggestellte Brille den Patienten unmittelbar in der Praxis anpassen. Hierfür sollten die Augenärzte vom Brillenlieferanten ein entsprechendes Leistungsentgelt erhalten.

Gemäß § 3 Abs. 2 der Berufsordnung für Ärzte (BOÄ) darf der Arzt im Zusammenhang mit der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit jedoch keine gewerblichen Dienstleistungen erbringen, soweit diese nicht wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie sind. Nach verfassungskonformer Auslegung dieser Norm ist eine solche Tätigkeit immer dann rechtswidrig, wenn die jeweilige Tätigkeit eine Kommerzialisierung des Arztberufes bewirken würde. Nach § 34 Abs. 5 BOÄ darf der Arzt seine Patienten nicht ohne hinreichenden Grund an Leistungsanbieter verweisen.

Das OLG Stuttgart meinte, der beteiligte Augenarzt verstoße im Rahmen des Brillendirektvertriebs gegen beide berufsrechtliche Bestimmungen: Der Augenarzt befinde sich in einem Spannungsfeld zwischen den eigenen unternehmerischen Interessen als „Verkäufer“ der Brille und dem Gebot, seinem Patienten das aus ärztlicher Sicht und aus Gründen der Wirtschaftlichkeit Sinnvollste zu raten; in diesem Konflikt nehme auch der Patient seinen Arzt wahr und gerate deshalb in Zweifel, ob der Arzt sein Handeln allein an den Belangen des Patienten ausrichte. Zudem bestehe auch kein hinreichender Grund dafür, dass der Augenarzt den Patienten auf den verkürzten Versorgungsweg verweise. Es sei – zumal bei Standardbrillen – medizinisch nicht notwendig, dass der Augenarzt selber die Brillenanpassung vornehme; nennenswerte ärztliche Schulungs- und Kontrollleistungen werden bei der Abgabe der Brille nicht erbracht.

Zur Erinnerung: Das OLG Celle urteilte seinerzeit, dass bereits die Praktikabilität für die Patienten ein hinreichender Grund dafür sei, dass Augenärzte ihre Patienten an den Brillendirektvertrieb verweisen. Ferner würden nochmalige – ggf. falsche – Refraktionsmessungen durch die Optiker vermieden, was ein medizinisch sinnvoller und deshalb beachtlicher Grund für den Direktvertrieb sei.

(OLG Stuttgart, Urteil vom 30.10.2008, 2 U 25/08; OLG Celle, Urteil vom 21.12.2006, 13 U 118/06)

Fazit: Da das OLG Stuttgart die Rechtslage gänzlich anders beurteilt als das OLG Celle, wurde die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, über die bislang noch nicht entschieden ist. Im Wesentlichen geht es jetzt um die generelle Frage, welche Anforderungen an einen beachtlichen Grund für den Hilfsmittelbezug über die ärztliche Praxis gestellt werden und ob ein solcher Grund schon in Erwägungen der Bequemlichkeit gesehen werden kann. Hinzu kommt die Frage, ob der Arzt wegen des Angebots eines verkürzten Versorgungsweges tatsächlich in die Nähe des Gewerbetreibenden rückt. Jedenfalls bei der Beurteilung des verkürzten Versorgungswegs für Hörgeräte hat der BGH eine „gewerbenahe“ Tätigkeit des HNO-Arztes nicht gesehen.

Quelle: RA Olaf Walter, Fachanwalt für Medizinrecht
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