Warum Piloten streiken dürfen – niedergelassene Ärzte aber nicht

Insbesondere kurz vor Beginn von Ferienzeiten legen Piloten von großen Fluggesellschaften immer mal wieder die Arbeit nieder und zwingen damit ihren Arbeitgeber an den Verhandlungstisch, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
 
Ihnen wollte es ein badisch-württembergischer Vertragsarzt und Chef eines Ärzte-Verbandes gleichtun und hatte mehrfach im Jahr 2012 seine Praxis geschlossen mit der Ankündigung, sein ihm verfassungsrechtlich zustehendes Streikrecht ausüben zu wollen. Die zuständige KV hatte ihm daraufhin einen Verweis erteilt, woraufhin der Arzt vor Gericht zog. Sein Argument: Ohne das im Grundgesetz verankerte Streikrecht sei es Vertragsärzten nicht möglich, Bürokratie abzuwehren und höhere Honorare durchzusetzen.
 
Dieser Auffassung erteilte das Bundessozialgericht am 30.11.2016 eine klare Absage: Niedergelassene Ärzte haben danach auch künftig kein Recht zu streiken. Die Richter stellten klar, dass das Streikrecht nur für abhängig Beschäftigte geschaffen worden sei.
 
Demgegenüber gewähre der Gesetzgeber den Kollektivpartnern innerhalb des Vertragsarztsystems ein hohes Maß an Autonomie, indem er der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen das Recht einräumt, die Einzelheiten der vertragsärztlichen Versorgung weitgehend selbst zu regeln. Können sich Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen nicht über den Inhalt eines Vertrags einigen, wird ein solcher Konflikt nicht durch Mittel des Arbeitskampfes ausgetragen, sondern durch verbindliche Entscheidungen von Schiedsämtern gelöst, deren Rechtsmäßigkeit gerichtlich überprüfbar ist. Wer als Vertragsarzt tätig sein wolle, müsse insgesamt die Regelungen akzeptieren. Entsprechend formulierte der Vorsitzende: „Dieses Paket kann ein Arzt nur insgesamt annehmen oder nicht“.
 
Wirklich überraschend ist die Entscheidung nicht. Grundsätzlich steht das Streikrecht nur abhängig Beschäftigten, so etwa auch angestellten Krankenhausärzten, zu. Das Vertragsarztrecht weist demgegenüber eine ganz eigene Systematik auf, welche die Freiberuflichkeit in bestimmten Teilen einschränkt.
 
Wer an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, ist strengen Regelungen in Bezug auf die Berufsausübung unterworfen. In diesem Zusammenhang ist auch zuletzt das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.08.2016 zu lesen, nach welchem den Vertragsarzt gegenüber der Krankenkasse eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 Strafgesetzbuch trifft, mit der Folge, dass bei Verordnungsverstößen eine Strafbarkeit wegen Untreue möglich ist.
 
Geht man davon aus, dass der überwiegende Teil der Vertragsärzte auf die Einnahmen aus der vertragsärztlichen Versorgung angewiesen ist, ist zwar durchaus ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis der Vertragsärzte zur KV bzw. den Krankenkassen zu erkennen. Nach Auffassung des BSG ist die Konzeption der vertragsärztlichen Versorgung aber sachgerecht, da hierdurch ein Ausgleich der partiell gegenläufigen Interessen von Patienten und Leistungserbringern stattfindet, um auf diese Weise eine verlässliche Versorgung der Versicherten zu angemessenen Bedingungen sicherzustellen. Der betroffene Vertragsarzt hat angekündigt, gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde einlegen zu wollen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der Streit um das Streikrecht in die nächste Runde geht.
 
Quelle: RAin Rosemarie Sailer, LL.M., Fachanwältin für Medizinrecht, Kanzlei Wiencke & Becker, Köln


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