Arzthaftung: Therapie der zweiten Wahl statt Goldstandard

Wenn ein Arzt nicht die Therapie der ersten Wahl, den sogenannten „Golden Standard“, sondern eine Therapie der zweiten Wahl anwendet, so liegt darin in der Regel ein Behandlungsfehler. Verlässt der Arzt den Goldstandard, ohne den Patienten hierauf hinzuweisen, so handelt er jedenfalls dann grob fehlerhaft, wenn der Patient bereits zur Durchführung der Therapie der ersten Wahl entschlossen war. Ein solches ärztliches Verhalten ist unverständlich und nicht mehr nachvollziehbar. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit Urteil vom 25.02.2014 – 26 U 157/12 – entschieden.

Der Fall
Ein Hautarzt hatte im Jahr 2005 bei einem damals bereits über 70-jährigen Patienten ein knotiges Basalzellkarzinom an der rechten Wange diagnostiziert. Der Arzt riet dem Mann zu einer fotodynamischen Therapie. Drei Jahre später kam es zu einem Rezidiv mit der Folge, dass mehrfache Nachoperationen erforderlich wurden. Der Patient verklagte daraufhin den Dermatologen auf mindestens 15.000,00 Euro Schmerzensgeld. Während die erste Instanz die Klage abwies, gab das OLG dem Mann nun Recht. Nach Einschätzung des Gerichts bestand für die fotodynamische Therapie keine medizinische Indikation. Laut Aussage des gerichtlich hinzugezogenen Sachverständigen wäre die Operation die bewährte ärztliche Behandlungsweise gewesen. Von diesem sogenannten Goldstandard sei der Dermatologe „aus unverständlichen und nicht nachvollziehbaren Gründen“ abgewichen, so das Gericht. Bei der fotodynamischen Therapie seien die kosmetischen Ergebnisse zwar besser. Auch habe sie eine kürze Abheilzeit. Die Rezidivrate sei bei dieser Behandlung aber höher, weshalb der Arzt dem Patienten zur Operation hätte raten müssen.

Standardunterschreitung nur in begründeten Ausnahmefällen
Grundsätzlich ist es Ärzten nicht untersagt, vom medizinisch-wissenschaftlichen Standard abzuweichen. § 630 a BGB sieht ausdrücklich vor, dass eine Behandlung nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung geltenden medizinischen Standard zu erfolgen hat, „soweit nicht etwas anderes vereinbart ist“. Dies gilt aber nur für den Fall, dass der Patient ausdrücklich und detailliert darüber aufgeklärt worden ist, dass es sich bei der anzuwendenden Therapie nicht um den Goldstandard handelt. Es ist dabei insbesondere auf die mit der Behandlung einhergehenden zusätzlichen Risiken, Komplikationsmöglichkeiten und Erfolgsaussichten hinzuweisen. Anderenfalls ist die Behandlung nicht von der Einwilligung des Patienten gedeckt. Als besonders drastisch bewertete das Gericht im vorliegenden Fall, dass der Patient grundsätzlich bereit gewesen wäre, die Operation durchzuführen zu lassen. Dieser Fehler wurde daher vom Gericht als grober Behandlungsfehler bewertet mit der Folge, dass der Patient nicht mehr die oftmals schwierig nachzuweisende Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Schaden nachweisen muss. In diesem Fall liegt es also am Arzt, sich von dem Vorwurf des schadensursächlichen Behandlungsfehlers zu entlasten, was naturgemäß schwierig ist.

Fazit
Sofern Ärzte im Einzelfall von dem Goldstandard und damit dem im Arzthaftungsverfahren als anzuwendenden Maßstab geltenden medizinischen Standard abweichen wollen, sollte diese Erwägung ausführlich begründet und im Einzelnen mit dem Patienten abgesprochen sein. Es empfiehlt sich zudem eine sorgfältige Dokumentation, um im Zweifelsfall nachweisen zu können, dass die Behandlung von der Einwilligung des Patienten gedeckt war.

Quelle: RAin Rosemarie Sailer, LL.M., Fachanwältin für Medizinrecht
WIENKE & BECKER – KÖLN, Rechtsanwälte,
Sachsenring 6, 50677 Köln
Tel.: 0221/3765-310, Fax: 0221/3765-312
www.Kanzlei-WBK.de


In Kontakt bleiben: