BAG-Urteil: Der Praxisnachfolger muss nicht automatisch das Praxispersonal übernehmen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Urteil vom 22.06.2011 (8 AZR 107/10) entschieden, dass ein Arzt bei der Praxisübernahme nicht automatisch verpflichtet ist, das Praxispersonal seines Vorgängers zu übernehmen.

In dem Streifall wehrte sich eine Arzthelferin gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses, nachdem die bisherige Praxisinhaberin aus Altersgründen den Praxissitz samt einigem geringwertigen Inventar verkauft hatte. Die Nachfolgerin führte die Praxis in anderen Räumlichkeiten und mit anderem Personal in ca. 10 km Entfernung fort. Die alten Praxisräume wurden verkauft und privat genutzt, das verbliebene Inventar ebenso wie die Patientenkartei lagerte die bisherige Praxisinhaberin in ihren Kellerräumen ein.

Das BAG entschied, die Kündigung sei wirksam und die Nachfolgerin müsse die Arzthelferin nicht weiter beschäftigen, da kein Betriebsübergang vorliege. Ein solcher sei nur dann anzunehmen, wenn die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung der Identität fortgeführt werde. Bei der Prüfung, ob diese übergegangen sei, seien sämtliche Tatsachen zu berücksichtigen, zu denen insbesondere die Art des betreffenden Betriebs, der Übergang materieller Betriebsmittel sowie deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter etc. zählen würden.

Bei einer Arztpraxis stünden jedoch nicht die materiellen Betriebsmittel (z.B. Büro-, Wartezimmereinrichtung, Patientenkartei, medizinische Untersuchungs- und Behandlungsgeräte sowie vor allem Praxisräume), sondern vielmehr die Patientenbetreuung durch den Arzt und die nichtärztlichen Praxismitarbeiter im Mittelpunkt der betrieblichen Tätigkeit.

So sei die gesamte Organisation vor allem bei einer Einzelpraxis auf die Person des Arztes zugeschnitten, insbesondere auf dessen individuelle ärztliche Arbeitsweise. Hinzu komme, dass Patienten eine Arztpraxis häufig deshalb aufsuchen würden, weil sie dem dort tätigen Arzt besonderes Vertrauen entgegenbringen, dessen Sachkunde oder Fähigkeiten schätzen und sie sich von ihm und seinen Mitarbeitern gut betreut fühlen würden.

Damit werde die Arbeit einer Arztpraxis in der Regel durch die dort tätigen Personen, nicht durch die vorhandenen Betriebsmittel geprägt.

Ausnahmen von diesem Grundsatz könnten allenfalls dann vorliegen, wenn eine Arztpraxis vor allem durch die vorhandenen medizinischen Geräte und weniger durch die dort tätigen Ärzte geprägt sei, und die Praxis in erster Linie wegen der medizinischen Untersuchungs- bzw. Behandlungsgerätschaften aufgesucht werde (z.B. radiologische oder nuklearmedizinische Praxen). Das BAG stellte jedoch auch klar, dass es, neben dem Arzt zur Erreichung des Betriebszweckes der Arztpraxis, auch auf ein „eingespieltes Mitarbeiterteam“ und die Fachkenntnisse dieser Mitarbeiter ankomme.

Deswegen ist Vorsicht geboten, wenn der Praxisnachfolger einzelne Mitarbeiter weiter beschäftigen möchte. In diesem Fall könnte ein Betriebsübergang anzunehmen sein, so dass die Kündigung einzelner Mitarbeiter dann unwirksam sein könnte. Je mehr an materiellen Betriebsmitteln und/oder einzelnen Mitarbeitern übernommen wird, desto eher kann – trotz dieser Entscheidung des BAG – auch bei einer Arztpraxis von einem Betriebsübergang auszugehen sein.

Quelle: RAin Anna Stenger, LL.M. Medizinrecht
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