BGH: Zur Haftung des Arztes bei verspätet ausgestelltem Attest

In einem aktuellen Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) darauf hingewiesen, dass ein Arzt für einen Schaden haftet, der auf die verspätete Bearbeitung einer Versicherungsanfrage über den Gesundheitszustand eines Patienten zurückzuführen ist.

Die Witwe eines Patienten hatte einen Kardiologen verklagt, da dieser ein ärztliches Zeugnis zu spät erstellt hätte. Eine Versicherung, bei der der Patient eine Risikolebensversicherung zur Absicherung einer Baufinanzierung in Höhe von 200.000,00 EUR abschließen wollte, hatte den Kardiologen um Auskunft über etwaige Erkrankungen des Patienten gebeten. Der Kardiologe beantwortete die Anfrage trotz zweimaliger Erinnerung der Versicherung jedoch erst nach zwei Monaten. Bevor die Versicherung dem Patienten dann einen Vertragsabschluss anbieten konnte, verstarb dieser, so dass der Versicherungsvertrag nicht zustande kam.

Die Witwe meinte nun, der Kardiologe habe wegen seiner verspäteten Erstattung des Attestes zu verantworten, dass sie keine Versicherungsleistungen erhalten hatte; daher müsse er ihren Schaden in Höhe von 200.000,00 EUR ersetzen.

Nachdem das Landgericht und das Oberlandesgericht den Kardiologen zur Zahlung verurteilten, hob der BGH beide Urteile auf und wies die Klage der Witwe insgesamt ab. Der BGH betonte jedoch, dass der Arzt grundsätzlich hafte, wenn tatsächlich die Verzögerung der Zeugniserstellung dazu führt, dass eine Lebensversicherung nicht abgeschlossen wurde. Denn die wirtschaftlichen Interessen des Patienten müssten in denjenigen Fällen, in denen das Attest gerade der Absicherung eines finanziellen Risikos dient, in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages mit einbezogen werden.

In dem vom BGH entschiedenen Fall scheiterte die Haftung des Kardiologen im Ergebnis nur an einer Formalie; der Versicherung fehlte die erforderliche Vollmacht, um das Attest für den Patienten rechtswirksam anzumahnen. (BGH, Urt. v. 22.11.2005 – VI ZR 126/04)

Fazit: Auf den ersten Blick ruft das Urteil den Eindruck hervor, der BGH habe den Pflichtenkreis des Arztes beinahe untragbar erweitert und dem Praxisalltag des Arztes neue Haftungsfallen hinzugefügt; allerdings ist der Arzt bereits berufsrechtlich verpflichtet, Gutachten und Zeugnisse innerhalb angemessener Frist zu erstellen (§ 25 der Muster-Berufsordnung). Diese Vorschrift stellt auch nicht „nur“ eine Standespflicht, sondern eine grundsätzlich zu beachtende Rechtspflicht dar.

Quelle: RA Olaf Walter, WIENKE & BECKER – KÖLN,
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