BSG-Rechtsprechung: „Wohlverhalten“ bei Zulassungsentzug

Wendete sich ein Arzt gegen den Entzug seiner Zulassung, war bislang im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ein nachfolgendes ärztliches „Wohlverhalten“ zu berücksichtigen. Blieb der Arzt während der Verfahrensdauer bei sämtlichen Abrechnungen unauffällig, so war dieses Wohlverhalten vom Gericht bei seiner Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Zulassungsentzugs zu berücksichtigen. Dies führte regelmäßig dazu, dass ein anfänglich zwar rechtmäßiger Zulassungsentzug wegen langjährigen Wohlverhaltens unverhältnismäßig wurde.

Die Berücksichtigung des Verhaltens des Arztes während der Dauer des Verfahrens stellte eine vom Bundessozialgericht normierte Ausnahme dar. Grundsätzlich hat das Gericht bei seiner Entscheidung von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h. der Entscheidung des Berufungsausschusses, auszugehen, sodass eine nachträgliche Verhaltensänderung unerheblich ist. Hiervon hatte das BSG im Falle einer Zulassungsentziehung eine Ausnahme für erforderlich gehalten, da der Zulassungsentzug bei Ärzten einem Berufsverbot nahezu gleichgekommen sei. Daher konnte ein Wohlverhalten des Arztes über fünf Jahre oder mehr nach der bisherigen Rechtsprechung die Zulassung „retten“. Diese Rechtsprechung hat das BSG nunmehr in einer aktuellen Entscheidung vom 17.10.2012 (Az.: B 6 KA 49/11 R) ausdrücklich aufgegeben.

Das BSG hatte über einen Fall zu entscheiden, in welchem einem niedergelassenen Arzt für radiologische Diagnostik mit Bescheid des Zulassungsausschusses im Jahr 1999 die Zulassung entzogen worden war. Der Berufungsausschuss bestätigte diese Entscheidung im Jahr 2003, nachdem der Arzt wegen Abrechnungsbetrugs verurteilt worden war. Der Arzt hatte in den Jahren 1994 bis 1998 Leistungen abgerechnet, die von nicht genehmigten Assistenten oder während seiner Abwesenheit von genehmigten Weiterbildungsassistenten bzw. von nichtärztlichem Personal erbracht worden waren.

Gegen den Zulassungsentzug richtete sich die Klage des Arztes. Nachdem das SG zunächst die Klage abgewiesen hatte, entschied das LSG im Jahr 2011 sodann, dass der Zulassungsentzug zwar anfänglich rechtmäßig gewesen, wegen langjährigen „Wohlverhaltens“ aber nunmehr unverhältnismäßig geworden sei. Für die Zeit nach der Entscheidung des Berufungsausschusses hätten keine Tatsachen ermittelt werden können, die ernstliche Zweifel an einer nachhaltigen Verhaltensänderung rechtfertigen könnten; daher gehe das LSG von einer positiven Prognose im Hinblick auf ein künftig ordnungsgemäßes Verhalten des Arztes aus. Hiergegen wendete sich die zuständige KV mit ihrer Revision zum BSG.

Das BSG bestätigte zwar die Entscheidung des LSG, stellte jedoch klar, dass es seine bisherige Rechtsprechung zum Wohlverhalten für die Zukunft aufgebe. Es bedürfe der bislang für notwendig erachteten Ausnahme nicht mehr. Künftig sollen sich die Gerichte daher an der Sachlage am Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsausschusses orientieren. Das BSG begründete diese Entscheidung damit, dass sich in den letzten Jahren die beruflichen Chancen von Ärzten innerhalb und außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung so deutlich verbessert hätten, dass die Erwägung, eine Zulassungsentziehung stehe zumindest faktisch einer Beendigung der ärztlichen Tätigkeit gleich, nicht mehr gerechtfertigt sei. Zudem habe die Berücksichtigung nachträglichen Wohlverhaltens zu nicht beabsichtigten Fehlentwicklungen geführt.

Nachfolgendes ärztliches Wohlverhalten könne zukünftig jedoch bei einem Antrag auf Neuzulassung berücksichtigt werden. Die Wiederzulassung könne auch bereits während des laufenden gerichtlichen Verfahrens beantragt werden. Entsprechend hat auch das Bundesverwaltungsgericht zur Approbation entschieden.

Aus Vertrauensschutzgesichtspunkten findet die alte Rechtsprechung allerdings noch Anwendung auf alle Verfahren, in denen bereits vor Veröffentlichung dieses Urteils eine Entscheidung des Berufungsausschusses ergangen ist und bei denen die Berücksichtigung von Wohlverhalten im Hinblick auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens in Betracht kommt.

Quelle: RAin Anna Stenger, LL.M., Fachanwältin für Medizinrecht
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