Mithaftung für fremden Befundungsfehler

Darf der behandelnde Arzt dem fachärztlichen Befund uneingeschränkt vertrauen?
Tagtäglich schicken (Haus-)Ärzte ihre Patienten mit einer Überweisung zum Radiologen oder sonstigen Facharzt, um einen bestimmten Befund anfordern. Dabei stellt sich die Frage, ob der behandelnde Arzt dem Befund des Facharztes ohne weiteres Glauben schenken darf und welche Konsequenzen es hat, wenn bei der Befundung einmal ein Fehler passiert ist und der behandelnde Arzt dies nicht erkennt. Muss der behandelnde Arzt eingeholte Befunde prüfen und welche Anforderungen geltend hier?
 
Es gilt der Vertrauensgrundsatz
Bei der Kooperation zwischen Fachärzten unterschiedlicher Fachgebiete hat die Rechtsprechung den so genannten Grundsatz der horizontalen Arbeitsteilung entwickelt. Dabei gilt das Grundprinzip des Vertrauensgrundsatzes. Dieser gilt aber nur, soweit es um Gefahren geht, die ausschließlich dem Aufgabenbereich eines der beteiligten Ärzte zugeordnet sind. Ärzte verschiedener Fachrichtungen können sich daher grundsätzlich darauf veranlassen, dass der andere beteiligte Arzt die Behandlungsaufgaben seiner Kompetenz und Zuständigkeit richtig wahrnimmt.
 
Ausnahme gilt bei offensichtlichen Fehlern
Allerdings sind dem Ganzen nach der Rechtsprechung auch Grenzen gesetzt. Die Rechtsprechung verlangt insoweit vom behandelnden bzw. überweisenden Arzt, dass er die Befunde des Arztes des Spezialfaches jedenfalls einer summarischen Prüfung und Plausibilitätskontrolle unterzieht. Erkennt er selbst offensichtliche Fehler in der Diagnostik, etwa eine vom Radiologen übersehene Auffälligkeit auf einem MRT-Bild, muss er diesen nachgehen und sich aufdrängende, leicht erkennbare Unzulänglichkeiten in der Befundung des hinzugezogenen Facharztes näher aufklären.
 
Bedeutung für die Praxis
Liegt dem behandelnden Arzt nur ein schriftlicher Befund des hinzugezogenen Facharztes, etwa des Radiologen, vor, so kann sich der behandelnde Arzt hierauf grundsätzlich verlassen. Etwas anderes gilt, wenn üblicherweise die Aufnahmen dem behandelnden Arzt übersandt werden, wie dies im Wege der Teleradiologie häufig der Fall ist. Liegen dem behandelnden Arzt die Röntgenbilder vor, so muss er auch einen Blick darauf werfen und kann sich nicht allein auf den schriftlichen Befund veranlassen. Hierbei ist es jedoch nicht erforderlich, dass der niedergelassene behandelnde Arzt den gleichen technischen Standard vorhält wie der Radiologe. Er kann daher die Bilder mit den ihm zur Verfügung stehenden technischen Mitteln, also seinem Praxis-PC, sichten. Ist mit diesen Mitteln ein Fehler in der Befundung offensichtlich für den niedergelassenen Arzt erkennbar, muss er diesen weiter aufklären und darf sich insoweit nicht auf den (fehlerhaften) schriftlichen Befund des Radiologen verlassen.
 
Fazit
Übersieht der behandelnde Arzt einen offensichtlichen Fehler des hinzugezogenen Facharztes, der ihm mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erkennbar und offensichtlich gewesen wäre, kommt grundsätzlich eine Mithaftung in Betracht. Der behandelnde Arzt sollte daher immer einen kritischen Blick auf eingeholte Befunde und insbesondere mitgelieferte Bilder, Laborberichte etc. werfen und prüfen, ob offensichtliche Ungereimtheiten bestehen.
 
Quelle: RAin Rosemarie Sailer, LL.M., Fachanwältin für Medizinrecht, Kanzlei Wiencke & Becker, Köln


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